Lektüre lesen

In der Schule wird im Deutschunterricht jedes Schuljahr mindestens eine Lektüre über mehrere Wochen hinweg gelesen: ein Jugendroman, eine Biografie, das Werk eines der großen deutschen “Dichter und Denker” oder ähnliches. Dabei geht es nicht nur um das Lesen des Buches, sondern auch um die Impulse des Lehrers und den Austausch mit den Mitschülern – jeder hat mit seiner ihm eigenen Individualität und bisherigen Lebensgeschichte einen anderen Zugang zu einer bestimmten Lektüre und die Schüler können sich gegenseitig befruchten. Erst im Gespräch werden wir uns über vieles klarer und wir werden durch andere Sichtweisen und Blickwinkel bereichert.
Kinder und Jugendliche, die derzeit die Schule nicht besuchen, können zuhause eine Lektüre lesen. Doch wer spricht mit ihnen darüber? Hier können wir erfinderisch werden: Wir Eltern können uns den Inhalt erzählen lassen und bei einem Besuch von Freunden auch mit diesen darüber sprechen. Wer zwei Kinder in ähnlichem Alter hat, kann diesen jeden Abend einen Abschnitt aus einem Buch vorlesen und anschließend Raum für Gedankenaustausch lassen. Oder …
Wir haben uns als Familie manchmal auch das Hörbuch aus der Bücherei ausgeliehen oder auch mal gekauft und auf einer längeren Autofahrt gemeinsam angehört und darüber gesprochen. Das hat den Vorteil, das es unterhaltsam ist (im Gegensatz zu vielen langweiligen und schleppenden Lektürestunden in der Schule), allerdings fehlt die Herausforderung, in die Tiefe vorzudringen.

Lektüreschlüssel

Zu vielen Lektüren gibt es auch “Lektüreschlüssel” und Interpretationshilfen, die besonders für ältere Jugendliche oder für uns Eltern hilfreich sein können, mehr zu verstehen.
Interpretationen zu einzelnen Lektüren findet man beispielsweise im Stark-Verlag unter:
https://www.stark-verlag.de/catalogsearch/result/?q=Interpretationen
Wenn man dort die Jahrgangsstufe und evtl. auch die Schulart eingibt, erhält man Interpretationen zu altersgemäßen Lektüren – und hat somit gleich eine Empfehlung für eine altersgemäße Lektüre.

Hier sind einige Vorschläge für Lektüren, die auch in der Schule gelesen werden und die meines Erachtens derzeit sehr aktuell sind:

Oberstufe:

□”Die Schachnovelle” von Stefan Zweig erzählt in einer Rahmenhandlung, wie ein Mann während einer langen Isolationshaft im 3. Reich zum Profi-Schachspieler wurde
□”1984” von George Orwell beschreibt die Dystopie einer Überwachungsdiktatur
□”Schöne neue Welt” von Aldous Huxley beschreibt eine dystopische Zukunftsvision (im englischen Original “Brave New World”)
□”Früchte des Zorns” von John Steinbeck erzählt die Geschichte einer Familie und einer ganzen Schar Menschen während der “Großen Depression” um 1930 in den USA, die von skrupellosen Kapitalisten in Hunger und Tod getrieben wurden
□”Effi Briest” von Theodor Fontane handelt von den Zwängen der bürgerlichen Gesellschaft Ende des 19. Jahrhunderts, wie eine Frau aus ihnen ausbricht und welchen Preis sie dafür bezahlt
□”Farm der Tiere” von George Orwell handelt vom Aufstand der Tiere gegen ihren gemeinen Besitzer und dem missglückten Versuch der Selbstverwaltung (im englischen Original “Animal Farm”)
□”Der Buchhalter von Auschwitz” von Reiner Engelmann thematisiert die Unberührtheit eines Verwaltungsbeamten im NS-Terror
□”Corpus Delicti” von Juli Zeh beschreibt die Dystopie einer Gesundheitsdiktatur
□”Im Westen nichts Neues” von Erich Maria Remarque handelt von einem 18-jährigen Soldaten im 1. Weltkrieg
□”Deutschstunde” von Siegfried Lenz thematisiert das Leiden des jungen Sigi unter seinem pflichtbewussten Vater, der Polizist ist im 3. Reich
□”Dr. Jeckyll und Mr. Hyde” von Robert Louis Stevenson beschreibt die zwei Gesichter ein und desselben Menschen
□”Schuld und Sühne” von Fjodor M. Dostojewskij: Ein mittelloser Student begeht in fortschrittsgläubiger Verblendung einen Doppelmord und zerbricht daran
□”Die Pest” von Albert Camus beschreibt einen Pestausbruch in einer nordafrikanischen Großstadt (im französischen Original “La peste”)
□”Leben des Galilei” von Berthold Brecht geht über das Leben des Galileo Galilei und den Konflikt zwischen Wissenschaft und Macht (Kirche): nicht sein kann, was nicht sein darf
□”Die Maschine steht still” (auch im Original auf Englisch) von E.M. Forster wurde vor über 100 Jahren geschrieben und handelt von einer Gesellschaft, die nur in eine Maschine schaut und davon, dass diese plötzlich still steht

Und für die Jüngeren:

10-13 Jahre:

□”Momo” von Michael Ende

13-15 Jahre:

□”Damals war es Friedrich” von Hans-Peter Richter erzählt das Schicksal zweier befreundeter Jungen – einer von ihnen ist Jude – im 3. Reich
□”Das Tagebuch der Anne Frank” ist das Tagebuch des 13-15-jährigen jüdischen Mädchens Anne Frank in ihrem Versteck in Amsterdam während der Judenverfolgung im 3. Reich
□”Die Zeit der Wölfe” von Willy Fährmann erzählt die Geschichte einer Vertreibung aus Ostdeutschland nach 1945
□”Die Welle” von Morton Rhues beschreibt, wie ein Lehrer faschistoide Methoden in seine Klasse einführt
□”Wilhelm Tell” von Friedrich Schiller erzählt vom Aufbegehren Wilhelm Tells und seiner Mitstreiter gegen die Habsburger Herrschermacht und die Entstehung der Schweiz

15-17 Jahre:

□”Biedermann und die Brandstifter” von Max Frisch: ein biederer Mann will nicht anerkennen, dass er die Brandstifter in seinem eigenen Haus aufgenommen hat
□”Die Physiker” von Friedrich Dürrenmatt: Niemand darf merken, dass drei in einer Psychiatrie befindlichen Patienten nicht psychisch krank sind
□”Der Besuch der alten Dame” von Friedrich Dürrenmatt: Wird sich ein Dorf des Geldes wegen zu einem Mord an einem ihrer Mitbürger hinreißen lassen?
□”Der zerbrochene Krug” von Heinrich Kleist geht über eine Gerichtsverhandlung, in der der Richter verheimlichen will, dass er der Täter ist
□”Vront” aus dem Jahr 2020 ist eine aktuelle Dystopie über eine Gesundheitsdiktatur