Homeschooling: Die Nebenfächer in den Alltag integrieren

Oft verbinden Eltern mit Schule vor allem Lesen, Schreiben, Rechnen, später noch Sprachen und die „Nebenfächer“.

Wenn man den Stundenplan aber genauer ansieht, dann findet man viele Fächer und Lerninhalte, die man als Eltern vielleicht überhaupt nicht als Lernen im schulischen Sinne bezeichnen würde, wenn man das mit den Kindern zuhause macht. Darum möchte ich als erstes die „Lerninhalte“ vorstellen, die ungefähr die Hälfte des Schulalltags ausmachen und die mindestens gleichwertig neben den Kernfächern stehen. Was ist der Unterschied zwischen dem Erlernen eines Liedes im Musikunterricht in der Schule oder zuhause? Oder das Kochen eines Gerichts im Hauswirtschaftsunterricht oder zuhause? Oder dem Anlegen eines Beetes in der Schule oder zuhause? Oder dem Stricken einer Mütze im Handarbeitsunterricht oder zuhause? Oder dem Bauen eines Nistkastens für Vögel im Werkunterricht oder zuhause? Usw.

Folgende Bereiche können daher problemlos und ohne schlechtes Gewissen in allen Altersstufen unter „Lernen“ verbucht werden. Noch dazu haben sie meistens einen praktischen Nutzen für das Kind oder manchmal sogar für die ganze Familie und machen viel Spaß. Auch wenn ich hier der Einfachheit halber nur von „Kind“ spreche, gilt dasselbe auch für Jugendliche und mit ein wenig Phantasie können Eltern die Tätigkeiten der entsprechenden Altersstufe anpassen.

Kochen:

Die Kinder können beim Planen des Mittagessens und beim Einkaufen der Zutaten mithelfen und z.B. einen Einkaufszettel schreiben (dabei lernen sie, vorausschauend zu planen und Notizen zu machen). Beim Schneiden und Schälen werden wichtige motorische Fähigkeiten erlernt und eingeübt. Die Kinder können beim Kochen helfen und Kochrezepte heraussuchen und lesen; die größeren Kinder können alleine kochen und lernen dadurch das Kochen verschiedener Gerichte. Diese können sie fotografieren, sie können ein Kochbuch verfassen und dafür Rezepte schreiben (Vorgangsbeschreibung in Deutsch, Rechtschreibung) und variieren. Sie lernen verschiedene Gemüsearten kennen und zubereiten. Wir sprechen über gesunde Ernährung, Nährstoffe, Vitamine usw. Die jüngeren Kinder lernen beim Tisch-decken das Abzählen und Zuordnen. Ganz nebenbei lernen sie Maße, Gewichte und Mengen und das Abschätzen und Rechnen damit, wie es auch der Lehrplan in Mathematik vorsieht.

Haushalt:

Die Kinder können je nach Alter bei verschiedenen Hausarbeiten mithelfen: abspülen, abtrocknen, aufräumen, staubsaugen, putzen, bügeln, die Wäsche aufhängen – alles wichtige praktische, motorische und sonstige Fähigkeiten. Eine völlig unkomplizierte „Hauswirtschaftsausbildung“ zuhause. Das wäre übrigens auch eine mögliche Alternative für eine Jugendliche, die z.B. jetzt wegen der Corona-Krise keinen Ausbildungsplatz bekommen hat oder ein Schuljahr zuhause bleibt. Wichtig ist dabei, dass diese häuslichen Arbeiten auch entsprechend wertgeschätzt werden. Evtl. können die Eltern auch eine kleine Bezahlung anbieten.

Natur:

In diesem Bereich gibt es Unmengen an theoretischem und praktischem Lernen: Die Kinder können Töpfe auf dem Balkon oder ein Beet im Garten anlegen und etwas aussäen, anpflanzen, gießen und pflegen und gärtnern. Dabei können sie sehen, wie etwas wächst, wie aus einem Samen eine Pflanze entsteht und lernen, was wie gepflegt werden muss. Sie lernen verschiedene Kräuter und Gemüsesorten in ihrer Entwicklung kennen.
Die Orientierung am jahreszeitlichen Rhythmus und das Erleben der eigenen Handlungsfähigkeit vermittelt ein tiefes Vertrauen und Sicherheit in Lebenskrisen und kann gerade in diesen Krisenzeiten Halt geben.
Die Kinder können Wildkräuter und Heilpflanzen kennenlernen und Tees, Kräuterquark, Salate, Smoothies und anderes zubereiten. Sie können Blumen und Kräuter pressen und in einem schönen Heft ein Herbarium anlegen, in dem sie die Merkmale der entsprechenden Pflanze beschreiben.
Sie können die verschiedenen Bäume kennenlernen und in ihrer jahreszeitlichen Veränderung von der Samenbildung bis zur Frucht und dem Verwelken der Blätter beobachten. Dies stärkt das Gefühl für die Rhythmen des Lebens, für Entstehung, Blüte und Vergänglichkeit.
Die Eltern können mit den Kindern einen Jahreszeitentisch gestalten, für den sie Fundstücke, die für die jeweilige Jahreszeit typisch sind, sammeln und auf einem schönen Tuch auf einem kleinen Tischchen drapieren.
Die Eltern können mit den Kindern verschiedene Tiere beobachten und über die Eigenschaften und Gewohnheiten der einzelnen Tiere sprechen: was sie fressen, wer Winterschlaf hält, wie ihr Bau aussieht usw. Das alles steht auch im Lehrplan und jedes Jahr können die Kinder hier neue Beobachtungen machen und neue Begriffe und Zusammenhänge kennenlernen und entdecken.
Staunen und Ehrfurcht empfinden können ist eine so wichtige Eigenschaft! Sie erhebt uns aus unserem Alltags-Ich und führt uns zu einem religiösen Gefühl und zu einer Liebe zu allen Lebewesen, wie es Rudolf Steiner so schön beschreibt.
Über die Bedeutung von Naturerlebnissen für die Entwicklung und die psychische Gesundheit eines Menschen kann man ganze Bücher schreiben. Damit werden nicht nur Themen aus dem Heimat- und Sachkundeunterricht in der Grundschule und dem Biologieunterricht in der Sekundar- und Oberstufe abgedeckt. Nicht umsonst findet sich das Thema „Staunen“ im Lehrplan katholische Religion und ist „Gartenbau“ ein Unterrichtsfach in der Waldorfschule.
Für Jugendliche kann man ein schönes Biologiebuch oder Fachbücher zuhilfe nehmen und so das Niveau noch etwas anheben.

Werken:

Die Kinder können mit Holz und anderen Naturmaterialien arbeiten: sägen, schnitzen, hobeln, schleifen, schmirgeln und einen Löffel oder ein Schiffchen oder ähnliches schnitzen. Jugendliche können z.B. einen Hocker selbst herstellen oder die Gartenbank abschmirgeln und neu einlassen. Für Arbeiten mit Metall, Ton, Speckstein und anderen Materialien kann man eine entsprechende Werkstatt in der Umgebung suchen. In der Wohnung gibt es zahlreiche handwerkliche Tätigkeiten: etwas reparieren, streichen, tapezieren usw. Neben den dabei erlernten handwerklichen Fähigkeiten beziehen wir in der Betrachtung von zu bearbeitenden Formen (Geometrie) und beim Ausmessen, Berechnen und Ermitteln der Kosten (Algebra) ganz natürlich Mathematik mit ein.

Handarbeit:

Eltern können mit den Kindern zuhause nähen, stricken, häkeln, weben und andere Handarbeiten erlernen und etwas Schönes herstellen. Jüngere Kinder weben einen Teppich, ältere Kinder stricken z.B. eine Mütze oder Strümpfe, und Jugendliche nähen vielleicht ein Kleidungsstück mit der Nähmaschine. Das alles kann eine Tätigkeit über mehrere Wochen sein und würde in der Schule auch nicht anders gemacht. Im Internet finden sich wunderbare Anleitungen auch für Ungeübte.

Basteln:

Beim gemeinsamen Basteln hat die ganze Familie soviel Spaß und gerade Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter erlernen soviele motorische und gestalterische Fähigkeiten! Perlen auffädeln, prickeln, etwas kneten und z.B. Figuren aus Knetgummi herstellen, filzen, färben, mit verschiedenen Papieren arbeiten, schneiden und kleben – hier gibt es schier unbegrenzte Möglichkeiten und viele gute Bücher mit wunderbaren Ideen!

Musizieren:

Das Kind kann ein Instrument seiner Wahl erlernen und jeden Tag eine halbe Stunde lang üben und spielen. Eltern können vielleicht zusammen mit dem Kind musizieren oder Geschwister oder Freunde machen eine kleine Band. Wieviel Freude kehrt in einen Haushalt ein, wenn dort musiziert wird! Als erstes Instrument eignet sich eine schöne Holzflöte (wie z.B. die Choroi-Flöte an der Waldorfschule), ab dem 8. oder 9. Lebensjahr kann dann ein anderes Instrument dazukommen und evtl. die Flöte ersetzen.
Auch das gemeinsame Singen sollte nicht zu kurz kommen. Wir Eltern kennen oft viele alte Kinderlieder nicht mehr und können diese nun auffrischen und mit den Kindern singen. Unter waldorfschulsongs.com findet man auch schöne neue Ideen für Lieder, die die Seele ansprechen.

Kunst:

Das Kind und später der Jugendliche kann mit verschiedenen Farben (Wasser- bzw. Aquarellfarben, Wachsmalkreiden, Acrylfarben, Pastellkreiden…) auf verschiedenes Papier malen. Es mischt Farben selbst und betrachtet das Ergebnis. Aus blau und gelb wird grün – wie kann ich das grün heller oder kräftiger machen? Der Jugendliche kann den Farbkreis einmal abmalen. Auch das Zeichnen und Gestalten von Formen gehört in diesen Bereich und in der Waldorfschule ist das „Formenzeichnen“, wie es in der Geschichte in allen Kulturen gepflegt wurde, ein fester Bestandteil.

Sport/Bewegung:

Das Kind kann eine Sportart erlernen und einen Sportverein besuchen. Viele Eltern machen mit den Kindern und vielleicht gemeinsam mit anderen Familien Wanderungen oder Radtouren. Gymnastik, Liegestützen, Schlittschuhlaufen, Skifahren, Langlaufen, Schwimmen, Tauchen, Parcours im Garten oder ein Trimmdichpfad, Balancieren, Springen/Seilspringen, Ballspiele, Kanu fahren und ähnliches – Das alles macht Spaß und stärkt die physische und psychische Gesundheit und das Wohlbefinden unserer Kinder. Zudem fördert es die Grobmotorik, das Raum-Lage-Empfinden und die geistige Beweglichkeit und bildet so die Grundlage für jedes weitere Lernen.

In all diesen Bereichen kann man problemlos Kinder und Jugendliche verschiedener Altersstufen zusammennehmen. Sie können je nach Alter, Entwicklungsstand und Begabung auf unterschiedlichen Niveaustufen tätig sein. Das lästige Vergleichen mit den Klassenkameraden, die vielleicht etwas „schon besser können“, fällt weg. Jedes Kind wird in seiner Einzigartigkeit gesehen und wertgeschätzt.

Das eine Kind ist vielleicht geduldiger und pflegt die Pflanzen besonders sorgsam. Ein anderes Kind ist eher kreativ und hat viele Ideen. Wir wertschätzen die Qualitäten unseres Kindes und führen es gleichzeitig auch an das andere heran, ohne es als „Defizit“ zu bewerten.

Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl sind die Grundlagen für das erfolgreiche Erlernen der Kulturtechniken.

Praxisbeispiel: Zum Lernen braucht´s die Schule nicht

Was in der Schule gelernt wird, ist kein Hexenwerk – Versuch einer Anleitung für ein selbstbestimmtes Homeschooling

Nehmen wir mal als Beispiel den Stundenplan einer Drittklässlerin aus Bayern.
Beachten wir: Eine Unterrichtsstunden dauert 45min. Die Zahl in Klammern bezeichnet die Anzahl der Unterrichtsstunden pro Woche.

Da haben wir die “Hauptfächer” Deutsch (6) und Mathe (5).

Englisch (2) zähle ich in der Grundschule nicht zu den Hauptfächern, denn das sollte in der Grundschule ein spielerisches Heranführen an die Fremdsprache sein. Dies können Eltern zuhause problemlos kompensieren, indem sie öfter eine CD mit englischen Kinderliedern anhören und mitsingen, mal aus Freude und Spaß mit den englischen Farben und die Zahlen bei einer Auto-, Bus- oder Zugfahrt spielen (z.B. das Spiel “Ich sehe was, was du nicht siehst” und die Farbe auf Englisch sagen), ein englisches Sprüchlein oder Reimchen finden o.ä. 🎶

Dann haben wir noch die “Nebenfächer” Religion/Ethik (3), Werken und Gestalten (2), Kunst (1), Musik (2), Sport (3), Förderunterricht (1). Diese machen also ungefähr 50% des Unterrichts aus!

🌼Betrachten wir zuerst die “Nebenfächer”:

🎚In Religion/Ethik können wir mit unseren Kindern über unsere eigene Spiritualität und Religion sprechen. Wir können aus der Kinderbibel vorlesen, was Drittklässler erfahrungsgemäß lieben (ich empfehle dazu immer die Kinderbibel von Ann de Vries). Wir können Gottes Schöpfung bewundern, jeden Menschen wertschätzen – und beten. Und wir können mit unseren Kindern auch über andere Religionen sprechen und dazu gemeinsam in geeigneten Kinderbüchern lesen. 📖

🎨Für Werken und Gestalten und Kunst gebe ich in meinem Telegram-Kanal ausreichend Ideen und Anregungen für alle Altersstufen. Außerdem gibt es so schöne Bücher dazu! Ist es nicht wunderbar, wenn unser Kind mit Wasserfarben und anderen Farben malen, sägen, stricken, häkeln weben, … darf und all das ist “Schule”? 🧶🥢🖍✂️🎨

🎶Musik: Kinderlieder singen, ein Instrument lernen, Klänge und Töne erzeugen und irgendwann mal die Noten lernen (das macht ein Instrumentallehrer sowieso) 🎶🎷🎻🎼

⛹️‍♂️Sport: Natürlich können wir zuhause mit unseren Kindern keinen Mannschaftssport machen. Aber Rennen, Joggen, Gymnastik, Schwimmen, Radfahren, Schlittschuh laufen, vielleicht sogar Ski fahren oder Langlaufen, Federball und Tischtennis spielen, Frisbee werfen … – und die Schneeballschlacht gehört auch zum Sport! ⛸🏒🏓⚽️⛷🏂🤸‍♀️🤾‍♀️🏊‍♂️🧗‍♀️🚴‍♂️

🌳🦔HSU (Heimat- und Sachkunde): Tiere beobachten und kennen lernen, Pflanzen (Bäume, Blumen, Obst- und Gemüsesorten, auch Hecken…) kennen lernen und im Jahreslauf beobachten, Bestandteile benennen und untersuchen, einen Bauernhof besuchen, die Uhr lernen, ein Wasserkraftwerk oder eine Kläranlage besichtigen, Experimente mit Luft machen, einen Stadtplan anschauen, Körper und Zähne betrachten, verschiedene Handwerke kennen lernen u.ä. 🕑 🔍🚰🌡🔬🧲🧭🐝🦔🌲🌳🥀👫👩‍🌾

Macht nicht eine aktive Familie das meiste davon sowieso und es macht allen Spaß?

Bleiben noch die “Hauptfächer” Deutsch (6) und Mathe (5): insgesamt 11 x 45 min : 5 Tage = 99 min am Tag, also gut 1,5 volle Stunden täglich.

Für Deutsch und Mathe (und auch für Sachkunde, wer dafür Anregungen sucht) habe ich auf meiner Website homeschooling-wagen.org geeignete Hefte und Bücher vorgestellt. In diesen kann man mit einem Drittklässler täglich ca. 1 Std. arbeiten, wenn man mit der Schule Gleichschritt halten möchte. 📚📏📐📝
In der Mittel- und Oberstufe kann man dann etwas mehr Zeit einplanen, weil der Alltag nicht mehr soviel Übungsfeld bietet.

Beachten wir noch, dass Lehrer auch krank sein können (manchmal sogar monatelang) oder aus anderen Gründen Unterricht ausfällt. Und in der Schule wird nicht jede Stunde optimal genutzt, geschweige denn für jedes einzelne Kind individuell optimal!