Unterstützung finden oder „Tante Möller“

Zu einem bisher in Deutschland völlig unüblichen selbstbestimmten Homeschooling stellen sich mehrere Fragen:

Wie kann ich das rechtlich ermöglichen?

Wie kann ich meinem bzw. wir unserem Kind den Lernstoff beibringen?

Wer kann uns beim Homeschooling helfen bzw. wer kann unser (zumeist jüngeres) Kind betreuen, wenn wir Eltern außer Haus arbeiten?


Rechtlich können wir nur den Spielraum nutzen, der uns gerade aufgrund der
aktuellen Lage oder der individuellen Situation gegeben ist. Hierfür kann und
möchte ich keine allgemeinen Empfehlungen geben, stehe aber für persönliche
Gespräche gern zur Verfügung.
Auf die zweite Frage gebe ich Informationen und Ideen in Texten und Videos in
meinem Telegram-Kanal und mit der Materialliste auf dieser Homepage.
Doch wie kann eine Familie eine Kinderbetreuung oder gar Homeschooling
bewerkstelligen, wenn beide Eltern arbeiten?
In Gesprächen merke ich immer wieder, wie sehr wir in der Vorstellung gefangen
sind, Betreuung müsse formal-rechtlich organisiert und versicherungstechnisch
einwandfrei abgesichert sein. Dementsprechend sind Tagesmütter oft sehr schwer
zu finden.
Seit dem Frühjahr 2020 hat sich vieles verändert. In einem Herbstgedicht schrieb
Rainer Maria Rilke:
„Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben.“
Wie ein überraschend eintreffender Winter kam der Lockdown 2020 über uns.
Noch zwei Wochen zuvor waren Gerüchte über eine drastische Einschränkung des
öffentlichen Lebens von der Regierung als Fake News gebrandmarkt worden!
Der Satz „Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben“ wurde auf traurige Weise war.
Für viele alleinstehende Menschen war die Zeit des Lockdowns deshalb eine sehr
schwierige Zeit. Vielen wurde ihr Alleinsein plötzlich auf bedrückende Weise
bewusst und sie fühlten sich sehr einsam.
Doch auch die Zeit danach ist von einer „neuen Normalität“ geprägt, die für viele
Alleinstehende schwierig ist: Konzerte, öffentliche Veranstaltungen und Feste, bei
denen Menschen sich begegnen, finden kaum statt. Auch im Alltag gelingt es
weniger, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen: Beim Einkaufen finden
durch die Maske kaum mehr zufällige Gespräche statt. Gerade ältere Menschen
vertrauen oft auf die Berichterstattung in den Medien und haben zum Teil große
Angst vor Ansteckung. Viele bleiben deshalb auch nach dem Lockdown vermehrt
zuhause. Durch die verringerten sozialen Kontakte haben sie oft niemanden, der
ihnen die Angst nimmt.
Gleichzeitig wird vielen Menschen die enorme Veränderung der Gesellschaft und
ihrer Werte bewusst. Nichts scheint mehr so zu sein wie vorher. Das kann Angst
und Ohnmachtsgefühle erzeugen. Gleichzeitig werden neue Kräfte freigesetzt.
Der israelische Soziologe Aaron Antonovsky hat aufgrund von Studien mit
Holocaust-Überlebenden den Begriff der Salutogenese („Erhaltung der
Gesundheit“) geprägt. Demnach sind drei Faktoren zur Erhaltung oder Erlangung
der geistigen, seelischen und körperlichen Gesundheit wichtig:
Verstehbarkeit, Sinnhaftigkeit und Handhabbarkeit.
Diese drei Faktoren kann man dem Denken (verstehen), dem Fühlen (einen Sinn
finden) und dem Handeln (handhaben können) zuordnen.
Auf die jetzige Situation übertragen könnte man kurz zusammengefasst sagen:
Menschen können die derzeitige Krise dann gut überstehen und gesund bleiben,
wenn sie das, was um sie herum und was in ihrem Inneren geschieht, verstehen,
wenn sie (darin) einen Sinn für ihr Leben finden können und wenn sie damit
umgehen können, also das Leben im allgemeinen und die spezielle Situation im
Besonderen handhaben können. Das gilt für uns und für unsere Mitmenschen.
Es gibt nicht wenige Menschen, die sich jetzt neu orientieren und mehr oder
weniger bewusst einen neuen Sinn für ihr Leben suchen. Der seit der
Nachkriegszeit propagierte Wert des Besitzens und der Gütervermehrung scheint
mit einem Schlag mit der Coronakrise ausgedient zu haben.
Es gibt nicht wenige Menschen, die verunsichert sind und sich fragen, wie sie mit
dieser neuen Situation umgehen können, die also Möglichkeiten suchen, sinnvoll
tätig werden und sich einbringen zu können. Und es gibt Menschen, die arbeitslos
geworden sind oder die sich vielleicht beruflich verändern wollen.
Ich schreibe dies, um euch Eltern zu ermutigen, Menschen anzusprechen
und ihnen von euren Sorgen und Problemen und von eurer Suche nach
Betreuungshilfen für eure Kinder zu erzählen und sie um Hilfe zu bitten.
Ich selbst kenne viele Menschen, die in dieser Krise einen Beitrag leisten möchten.
Der Begründer der gewaltfreien Kommunikation Marshall Rosenberg nennt – neben
vielen anderen Bedürfnissen wie Vertrauen, Rücksicht, Selbstbestimmung,
Wertschätzung und anderen – auch „Beitrag leisten“ als Grundbedürfnis eines
jeden Menschen. Eine meiner Nachbarin ist Ende 50 und frühpensioniert und ihre
ganze Freude sind „ihre“ erwachsenen geistig Behinderten, die sie ehrenamtlich
betreut.
Kinder tun den Menschen gut. Ihre Unbekümmertheit, ihr Vertrauen, ihre Freude
erfrischt uns, lässt uns unsere Sorgen vergessen und schenkt uns Vertrauen in die
Zukunft. Studien zeigen auf, dass Kinder die beste Demenzprophylaxe darstellen!
Wenn sich unsere älteren Nachbarn oder die Großeltern unserer Kinder von der
herrschenden Angstmache nicht anstecken lassen und es für sie kein Problem
darstellt, unsere Kinder zu betreuen, dann ist das wunderbar! Es ist das beste
Alter! Prof Bhakdi wiederholt ständig, dass hohes Alter nur bei mehreren
Vorerkrankungen ein Risiko für Covid-19 darstellt. Wenn sie das möchten, könnten
sie sogar bei der Beschulung mithelfen. Ich habe den Kanal und die Website
„Homeschooling wagen“ extra gegründet, damit Eltern (und Großeltern!), die
bisher noch keine Erfahrung darin haben, ihre Kinder selbst zu beschulen, Ideen,
Anregungen, Fachinformationen und Materialvorschläge bekommen können.
Außerdem stehe ich für persönliche Fragen jederzeit gerne zur Verfügung und wer
möchte, kann auch an den Online-Treffen teilnehmen, die ich regelmäßig anbiete.
Wir können daher die jetzige Zeit nutzen, um vorzusorgen und mit unseren
Nachbarn Kontakt aufzunehmen. Wem kann und möchte ich vertrauen? Wie
können wir uns gegenseitig stützen und unterstützen?
Meiner Erfahrung nach sind die Menschen offener, wenn sie keine Maske tragen,
daher sollten wir derartige Momente und Orte für Gespräche suchen. Vielleicht
liegt es daran, dass die Menschen durch die erhöhte CO2-Belastung beim
Maskentragen in Panik geraten?
Sprechen wir die Menschen daher in entspannten Situationen an: auf dem Balkon,
bei Sonnenschein, bei einer Begegnung bei einem Spaziergang oder ähnliches.
In seiner Autobiographie „Neger, Neger, Schornsteinfeger“ erzählt Hans J.
Massaquoi von seinem Leben in Hamburg als kleiner dunkelhäutiger Junge
während des 3. Reichs. Während seine alleinstehende Mutter arbeitete, wurde er
von einer einfachen älteren Nachbarin, die verwitwet war und die er „Tante Möller“
nannte, gegen ein geringes Entgeld viele Jahre lang betreut – während der
Vorschulzeit ganztags und später nach dem Schulvormittag, bis seine Mutter
abends nach Hause kam.
Vielleicht finden auch wir eine „Tante Möller“ oder eine „Leih-Oma“ in
unserer Nachbarschaft, mit der wir diese Zeit gemeinsam leben können.
Ich betone immer wieder, dass man nur 1-3 Stunden pro Tag braucht, um den
Kindern den Schulstoff zu vermitteln, der in der Schule gelehrt wird. Und diese Zeit
können wir finden, selbst wenn beide Elternteile arbeiten. Wenn unsere Kinder z.B.
während unserer Arbeitszeit betreut werden, können wir sie immer noch in unserer
Freizeit beschulen. Und vielleicht werden sie ja noch zu echten „Freilernern“, die
sich gern selbst Vieles erarbeiten wollen und uns gar nicht so viel brauchen?
Vergessen wir nicht, dass den Kindern in der derzeitigen Situation in den Schulen
nur wenig Stoff vermittelt werden kann! Zeitlich sind die Lehrkräfte derzeit viel mit
der Umsetzung der Hygienebestimmungen beschäftigt. Und selbst in der
verbleibenden Unterrichtszeit können unsere Kinder unter den derzeitigen
Bedingungen nur sehr wenig lernen, denn ihre Konzentrationsfähigkeit und
Aufnahmebereitschaft sind durch all die Begleitmaßnahmen erheblich
eingeschränkt. Eher besteht die Gefahr, dass unsere Kinder das Falsche lernen:
Anpassung, Hörigkeit, Gehorsam, Distanz, Misstrauen und Angst, dass andere
Menschen gefährlich sind, u.ä..
Wir aber wollen, dass unsere Kinder in einem Klima leben und lernen, das von
Vertrauen, Liebe, Offenheit, Rücksicht und Hilfsbereitschaft geprägt ist.
Wir wollen, dass sie auf ihr Gefühl hören und selbst denken lernen und sich nicht
indoktrinieren lassen.
Wir wollen, dass sie Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl
entwickeln und dass sie sich zu gesunden Persönlichkeiten in Körper, Geist und
Seele entwickeln.