Sprechen und zuhören in der Grundschule
Sprechen und zuhören sind wichtige Fähigkeiten und daher auch wichtige Aspekte im Bereich „Deutsch“ in der Grundschule
Eltern mögen vielleicht überrascht sein, dass der Bereich „Sprechen und zuhören können“ im Lehrplan verankert ist (s. „Der „Lernstoff“ der Grundschule im Überblick“). Geht es in der Schule nicht um Lesen und Schreiben lernen?
Viele Kulturen lebten und leben immer noch gut auch ohne Schrift. Für viele Dinge braucht es die Schrift nicht, auch wenn wir uns das heute im Smartphone-Zeitalter kaum mehr vorstellen können. Wenn wir darüber nachdenken, fallen uns vielleicht viele Möglichkeiten und Gelegenheiten ein, mit unseren Kindern mehr zu sprechen und ihnen mehr zuzuhören.
Über Gefühle sprechen: feinfühlig sein
Wie geht es unserem Kind? Wie fühlt es sich? Wovor hat es Angst? Worauf freut es sich? Worüber ist es gerade froh? Es gibt so viele verschiedene Gefühle und dem zugrunde liegende erfüllte und unerfüllte Bedürfnisse! Oft haben auch wir Erwachsene den Wortschatz dazu verloren. Wir sind z.B. neugierig, gespannt, glücklich, ruhig, froh, aufgeregt, hoffnungsvoll usw.
Manchmal sind wir aber auch ärgerlich, wütend, verwirrt, unsicher, unruhig, müde, traurig, frustriert, nervös, angespannt, enttäuscht und anderes, wir haben Angst, Hunger oder Durst. Oder wir langweilen uns und brauchen Abwechslung.
Das derzeit in Deutschland vorherrschende Klima der Angst geht an unseren Kindern nicht spurlos vorüber. Sie haben viele Ein-Drücke, die sie auch wieder aus-drücken müssen, sonst können sie zu psychosomatischen Beschwerden und langfristig auch zu Krankheiten führen. Dafür gibt es vielerlei Wege: Spiel, Tanz, Malen, aber eben auch und gerade die Sprache. Lassen wir unsere Kinder gerade jetzt viel erzählen.
Beobachten wir unsere Kinder und fragen wir sie, wie es ihnen geht! Und geben wir uns nicht mit der Antwort „gut“ oder „schlecht“ zufrieden, sondern bringen wir ihnen bei, dass sie uns sagen können: „Ich bin …. (wütend, froh…), weil ….“!
Die gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg gibt hier zahlreiche Anregungen für Gespräche und Auseinandersetzungen auch mit Kindern, auch und gerade wenn es um Konfliktlösung geht.
Konfliktlösung: einfühlsam sein
Nach Marshall Rosenberg liegt jedem positiven Gefühl ein erfülltes Bedürfnis zugrunde und jedem negativen Gefühl ein unerfülltes Bedürfnis; Marshall Rosenberg hat ganze Listen von möglichen Gefühlen und Bedürfnissen veröffentlicht. Wenn ein Kind beispielsweise sagt: „Ich bin frustriert, weil die Aufgabe so schwer ist und ich Unterstützung (Hilfe) brauche“, dann zeigt dieses Kind schon, wie wunderbar es sein Gefühl (frustriert) und seine Bedürfnisse (Unterstützung) ausdrücken kann. Wenn ein anderes Kind hingegen sagt: „Ich bin sauer, weil der blöde Fabian mein Fahrrad umgeworfen hat“, dann kann es schon helfen, dem Kind das zugrunde liegende (mögliche) Bedürfnis zu nennen bzw. vorzuschlagen: „Bist du sauer, weil dir Rücksicht wichtig ist?“ Damit reagieren wir einfühlsam auf das Gefühl des Kindes und nehmen der Schuldzuweisung den Wind etwas aus den Segeln. So können wir den Kindern helfen, die Verantwortung für die eigenen Gefühle selbst zu übernehmen. Ein anderes Kind wäre nämlich vielleicht überhaupt nicht sauer gewesen, weil es gesehen hätte, dass – um bei diesem Beispiel zu bleiben – Fabian vielleicht einfach aus irgendeinem Grund unvorsichtig oder verärgert gewesen war und das Fahrrad nicht wirklich absichtlich umgeworfen hatte.
Gerade in dieser schwierigen Zeit, in der viele unserer Bedürfnisse fundamental verletzt werden, kann es eine Hilfe sein, sich eben dieser Bedürfnisse bewusst zu werden. Nach Marshall Rosenberg sind Bedürfnisse für alle Menschen weltweit dieselben – es ist also zutiefst menschlich und keinesfalls egoistisch, Freude, Spaß, Selbstbestimmung, Abwechslung usw. zu „brauchen“. Wenn ich mir eines Bedürfnisses, das gerade nicht erfüllt wird, bewusst bin, dann kann ich versuchen, im Rahmen meiner Möglichkeiten FÜR dieses Bedürfnis einzutreten. Ich komme in eine positive Energie und ich kann bei Nicht-Erfüllung bewusst darum trauern, anstatt einfach nur einen unbestimmten Frust zu spüren – der dann womöglich in Aggression umschlägt.
Unabhängig davon, welche Kommunikationsmöglichkeiten uns selbst zur Verfügung stehen, ist es wichtig, dass wir die Gefühle, Bedürfnisse und Schwierigkeiten unseres Kindes feinfühlig wahrnehmen und einfühlsam darauf reagieren oder zumindest zu reagieren versuchen.
Hören wir also unseren Kindern zu!
Geben wir ihnen nicht gleich Antworten, sondern versuchen wir zu verstehen, was sie wirklich meinen! Und wenn wir ein Kind haben, dass viel „plappert“, versuchen wir zu verstehen, was es hinter den Worten ausdrücken möchte!
Die jetzige Zeit ist von Trennung und Spaltung geprägt. Abstand und Maske verhindern in potenzierter Form ungezwungene Unterhaltung und Gespräch. Oft sagen wir unter diesen Umständen nur noch das Nötigste. Unter der Maske können wir die Mimik unseres Gesprächspartners nicht erkennen. Und auch über den Tonfall drücken wir viel aus. Nicht umsonst heißt es: „Der Ton macht die Musik.“ Die Art und Weise, wie man etwas ausdrückt, ist oft wichtiger als der Inhalt des Gesagten. Unter der Maske ist der Tonfall weniger natürlich; man muss angestrengter sprechen, um verstanden zu werden. Gleichzeitig hört der andere den Tonfall schlechter. Unsere natürliche Kommunikation, seit Jahrtausenden elementarer Bestandteil unseres Menschseins, wird dadurch erheblich behindert!
Und das ist die derzeitige Situation an unseren Schulen!
Schaffen wir für unsere Kinder natürliche Sprech- und Begegnungsmöglichkeiten!
Dazu gehören Rollenspiele, das freie Spielen auf dem Spielplatz oder im Garten, Kasperletheater und vieles mehr. Wenn Kinder unterschiedlichen Alters zusammen sind, lernen die älteren Kinder auch, den jüngeren Kindern etwas zu erklären und zu erzählen. Gerade in altersgemischten Spielgruppen lernen Kinder viel mehr; sie lernen nämlich voneinander. In den vergangenen Jahren wurden deshalb an vielen Schulen jahrgangsgemischte Klassen gebildet.
Die Spielpartner müssen also nicht zahlreiche gleichaltrige Klassenkameraden sein. Und auch ein Kind, das mehrere Monate lang nur mit denselben wenigen Geschwistern oder Nachbarskindern spielt, kann sich sehr gut entwickeln, nicht selten besser als in der Schule!
Etwas erklären und präsentieren
In altersgemischten Spiel- und Lerngruppen tun die Kinder also von selbst etwas, was in einer homogenen Gruppe oft erst künstlich erzeugt werden muss: Sie erklären anderen etwas.
Natürlich können wir unser Kind auch einmal spielerisch um eine kleine Präsentation bitten, z.B. bei der Geburtstagsfeier des Großvaters oder im Familienkreis. Oder es kann einfach nur vor den Geschwistern oder in einer Gruppe sein Lieblingsbuch oder etwas anderes vorstellen, über ein Tier sprechen, seine eigene Zeichnung oder ein anderes selbst hergestelltes Werk präsentieren und erzählen, wie es das gemacht hat.
Dabei lernt das Kind, einen kleinen Vortrag zu gestalten und zu gliedern und sich ein wenig gewählt auszudrücken.
Zuhören und verstehen
Das Zuhören-Können ist eine wichtige soziale Fähigkeit. Kinder, denen zuhause feinfühlig und einfühlsam zugehört wurde, hören anderen auf dieselbe Weise zu.
Zuhören schult außerdem die eigene Sprachfähigkeit. Kinder, denen Märchen und Geschichten vorgelesen werden, haben einen größeren Wortschatz und können mit Sprache kreativer umgehen als andere Kinder.
Hinzu kommt der psychologische Aspekt: Kinder können sich mit den „Helden“ in Märchen und Geschichten identifizieren und erfahren, wie diese Schwierigkeiten in ihrem Leben gemeistert haben. Das stärkt ihr Vertrauen in das Leben und das Vertrauen, dass auch sie Schwierigkeiten meistern können.
„Kinder brauchen Märchen“ und „Kinder brauchen Bücher“ heißen daher zu Recht zwei Werke des berühmten Psychoanalytikers und Kinderpsychologen Bruno Bettelheim. Und niemand hat je ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Kinder brauchen Arbeitsblätter“ oder „Kinder brauchen Computer“!
In der Waldorfschule sind Märchen, biblische und andere Geschichten, Heldensagen, Legenden und Fabeln ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts in der Grundstufe. Im Anhang findet sich ein früherer Text von mir über die Bedeutung von Bildern und Geschichten im zweiten Lebensjahrsiebt (7-14 Jahre) auf Grundlage der anthroposophischen Menschenkunde.
Ich füge auch einen Text von mir über die Bedeutung der Sprache und des Atmens in dieser Lebensspanne bei, der gerade in dieser so Sprach-armen Zeit noch einmal eine ganz eigene Bedeutung gewinnen kann. Dabei geht es um die Sprache des Erwachsenen, der mit dem Kind spricht: Lehrerin, Erzieherin, betreuende Nachbarin oder eben wir Eltern. Es sind nicht nur Worte, die zu dem Kind übergehen, sondern auch „ein feiner geistiger Strom“. Über die Sprache atmen wir die Luft ein, die der andere ausatmet und sind damit auf eine geistige Weise als Menschen miteinander verbunden. Durch die Masken werden wir dieser einzigartigen Verbundenheit zu unseren Mitmenschen beraubt!
Zum Zuhören gehört auch das Verstehen. Wie oft hören Menschen „nicht richtig zu“! Damit meinen wir Menschen, die zwar physisch anwesend sind und vielleicht sogar den Eindruck erwecken, sie würden zuhören, die aber nicht mit-denken und mit-fühlen. Der ehemalige Geschäftsführer und jetzige Impfkritiker Dirk Schade baut daher oft bewusst kleine Unstimmigkeiten in die Geschichten, die er seinen Kindern erzählt, mit ein und fordert sie auf diese Weise zum Mitdenken und Hinterfragen heraus.
s.a. Anhänge in der Datei zum Herunterladen
Anhang1: Die Bedeutung von Geschichten in der Waldorfschule – Bilder, Geschichten und Gleichnisse
Anhang 2: Die Bedeutung der Atmung und der Sprache